Montag, 17. September 2012

Reisebericht Inseltour


 



Donnerstag, 13.9.2012, 8.15 Uhr Treffpunkt Bahnhof Altona, Hamburg. Es geht los




Anna ist schon da, mit Gitarre, Büchern, Sack und Pack. Der IC nach Bremen, Abfahrt 8.32 Uhr, Gleis 10, wartet schon.  Da kommt Marita mit ihrem großen Koffer um die Ecke.  
Schönes Reisewetter begleitet sie. Sie sind reichlich beladen, mit Gepäckstücken. Auf dem Rücken die Gitarre, rechts die Bücher, links der Koffer. Marita: „Gib mir doch ein Teil ab!“ Anna: „Geht schon!“ Stratz, stratz. Bremen umsteigen, keine Rolltreppen, Aufzüge besetzt. Empörung! Ächz. Schnauf! Na gut! Weiter geht’s bis Oldenburg. Dann in den Bus bis Sande. Dort wartet schon der nächste Bus bis zum Schiffsanleger Harlesiel. Koffer müssen extra bezahlt werden, dafür bis zur Insel durchgecheckt. Marita verteilt unerschrocken unsere Flyer im Bus und später auch auf dem Schiff. Anna sagt nur: „ Chapeau!“ Die Leute reagieren erstaunlicherweise erfreut, von großstädtischer Reizüberflutung keine Spur. Im Gegenteil! Mit dieser Direktwerbung ermuntern sie sogar einen dichtenden Verehrer . Er schreibt spontan ein gereimtes Gedicht auf uns. Seine Frau scheint not amused. Später auf der Insel hören wir aber auch Beschwerden „ Mir haben Sie nichts gegeben!“. Das Schiff legt an und weiter geht’s mit der Inselbahn zum Bahnhof Wangerooge. Dort gibt es einen Fahrrad-Gepäckservice. Gottseidank Sie laufen zu Fuß zur Pension Bruncken, Damenpfad 14.
Dort werden sie von der sympathischen Wirtin auf nordisch-direkte Art begrüßt: „Ich hab Sie mir ganz anders vorgestellt!“ Wie denn? Denken sie natürlich, sagen aber nichts.



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Der Abend wird im Café Pudding beschlossen mit Kürbissuppe und Jever Fun (Marita) und Vitello Tonnato und einem Glas Weißwein (Anna).

Heute, der 14.9., ist ihr großer Tag, die Premiere. Sie stärken sich erst mal mit einem großen Frühstück im Hotel Hanken. Von da geht es zur Kurverwaltung. Um 10.00 haben sie ein Treffen mit der Kulturreferentin Frau Boog ausgemacht. Gestern, bei der Besichtigung des kleinen Kursaals, hatten sie schon Bauchschmerzen bekommen. Von wegen klein. Potthäßlich und unwirtlich, aber groß genug für 200 Personen. Dann noch eine Kunstausstellung der finsteren Art.
Gottogott! Zusammen mit der inselfesten, munteren Frau Boog suchen sie nach einer Lösung.
„Dann gehen die Schnittmuster-Damen ins Trauzimmer“,  schlägt sie vor. Welche Erleichterung! Die Stühle werden umgestellt und der gewichtige Trauungstisch ist nun ihr Lesepult. Ansonsten wird alles ganz kuschelig eng sein.
Abends, sie haben gerade den Raum hergerichtet, Gitarre aufgestellt, Büchertisch etc., stehen stehen schon die ersten Besucher in der Tür „Ist hier das Stück?“ „Wir kommen aus Dortmund!“
Der Saal füllt sich, trotz Regen und Sturmes, um 19.15 Uhr sind alle Stühle besetzt. Weitere Stühle werden herangeschafft und eine lebhafte Unterhaltung sorgt für lockere Atmosphäre.
Das Anfangen gestaltet sich wie von selbst.
Das Publikum hört zu, bei den Liedern wie „Marina“ und „Rote Rosen“ wird mitgesungen.
Szenenapplaus nach dem französischen Chanson „Tous les garcons“. Große Heiterkeit bei der Geschichte vom „Bocca de la Verita“,   „Zum Glück gibt es heute keinen Lehrer Högemann mehr“
„Wie hieß denn das Dorf?“ „ Die Fleißkärtchen, die hatte ich schon ganz vergessen!“
Sie bekommen Schluss Applaus, Maritas rote Baskenmütze füllt sich mit Spenden.
In der Bar vom Restaurant Schnigge trinken sie einen auf den gelungenen Abend. 



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Samstag, den 15.September 2012
Zur Belohnung wird heute feudal im Strandhotel gefrühstückt Schöner Tag mit Strandspaziergang und Radtour zum Westturm. Beim Fahrradverleih spricht Anna eine Frau an, die aus Bad Bentheim kommt und Schüttorf, die Heimatstadt von Annas Vater kennt. „Ich habe eben jemanden aus Schüttorf getroffen, der sich noch an Lehrer Hölscher erinnert.“ Mensch, das war Annas Großvater und der ist schon 1940 gestorben. Doll, was? Anna ist echt veblüfft. Später auf der Promenade sprechen sie noch mehrere Frauen an, die auf der Lesung waren. Sie wollen wissen, woher Anna und Marita kommen. Sie kommen aus Rheine und Ibbenbüren und haben sich über die Lesung und die westfälischen Geschichten unterhalten. Marita ist gerührt über die Reaktionen, staunt aber über die überschwängliche Heimatverliebtheit.
Am Sonntag morgen geht’s mit Schiff und Bus und wieder Schiff nach Baltrum. Die Pensionswirtin steht mit einem Bollerwagen für's Gepäck am Anleger und begrüßt uns.“ Moin moin, ich bin Bettina. Wir duzen uns hier.“ Auf eine Frage von Anna antwortet sie etwas vorwurfsvoll: „ Das hab ich dir ja schon am Telefon versucht zu erklären, aber du hörst ja nicht zu!“  OK, also Schnauze halten. Marita fremdelt ein bisschen auf Baltrum, sie weilt in Gedanken noch auf Wangerooge.
Außerdem denkt Marita an Heinrich Heine und seinen Reisebericht über Norderney und seine Beschreibung der Insulaner. (Kein Kommentar)
Hier ein paar vorgelagerte Inselbewohner auf dem Weg nach Baltrum.

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Am Montag sind sie fleißig unterwegs, um noch Werbung zu machen. Marita verteilt mit charmanter Geste unsere Karten, die Leute freuen sich. Die junge Frau in der Touristeninformation
verspricht Werbung für uns zu machen und befreit uns von der Kurtaxe, unser Künstlerbonus.

Hinweistafel vor dem Spöölhus. Sie befinden sich in guter Gesellschaft.

 Dann gucken wir uns "Onnos Spöölhus" an mit der Kleinkunstbühne. Oha, ziemlich viel Spielzeug liegt da rum. Das Angebot Birgits (die zuständige Leiterin hat sich gleich so vorgestellt), im Spielzimmer um den Tisch herum zu lesen, das sei so gemütlich, lehnen sie mit gelindem Grausen ab. Nicht, dass sie etwas gegen Kinder hätten, schließlich haben sie selbst welche, aber in diesem Falle passt es einfach nicht. Im hübschen Bühnenraum nehmen sie die geparkten Bobbycars in Kauf.
Dienstag stärken sie sich mit einem Milchkaffee und Rosinenbrötchen beim Bäcker und gehen zum Wellnessprogramm ins Schwimmbad . Baltrum ist wirklich klein, denn gestern ging Anna baden und Marita, die leider zu spät kam, wurde begrüßt „Ihre Freundin ist schon im Bad!!“ Nee, gut, dass Sie's sagen.
Am nächsten Tag die Begrüßung vom Bademeister persönlich:“Ach, Sie sind ja gestern nicht mehr reingekommen!“. Hier spricht sich wirklich alles in Windeseile herum.
Baltrum bewölkt

Abends dann, vor dem Auftritt, (wir haben noch eine Gymnastikgruppe in unserem Auftritts- Heiligtum abgewartet) bauen sie mit zupackender Hilfe vom Gymnastikkurs und Birgit den Raum zur Kleinkunstbühne um. Birgit macht im Auftrag der Kurverwaltung die Kasse. Die ersten Besucher sind schon da. Eine Dame spricht Marita an „Ich kenne Sie aus dem Fernsehen. Ich hab Sie schon auf der Fähre erkannt. Sie sind doch die Schauspielerin, die in dem Film über die Frauen auf dem Jakobsweg mitgespielt hat.“ Trotz heftiger Dementis stellt sie fest: „Nein, das waren Sie!“ Anna kriegt fast einen Lachkrampf und stimmt ihre Gitarre.
In der Pause stellt sich die Dame als Lehrerin für Lach-Yoga vor. Das leuchtet Anna und Marita ein.
Trotz angeblicher Prominenz tröpfelt der Besucherstrom. Einige kennen sie vom Schwimmbad. Sie freuen sich, dass ihre Bekanntschaft von Bus und Schiff, ein Schweizer Ornithologe aus Luzern, aus dem etwas entfernten Ostdorf  gekommen ist. Sie haben dann ein nettes kleines Publikum, 14 an der Zahl, und Birgit muntert uns auf: „...das ist für Baltrum schon viel! “ Nach der Abrechnung, ( 80% für die Künstler, 20% für die Kurverwaltung) schenkt sie ihnen noch drei Piccolos Henkel trocken.
Insgesamt war es ein nettes Publikum, es wurde gelacht und auch ordentlich geklatscht, Szenenapplaus inbegriffen. 

Noch einige Baltrums-Impressionen:

Sie fühlten sich in eine vergangene Zeit versetzt, trutzige raue Backsteinarchitektur: Auf dem heimeligen Marktplätzchen beim Kaufhaus Stadtlander und unserem Fischimbiss saß man wie im Windkanal.
Ein heißer Tipp für Radfahrer ist Baltrum nicht, denn Fahrräder sind nicht erlaubt. Es droht sonst ein Verkehrschaos. wie Bettina ihnen erklärte, "und die Klingelei würde uns auf die Nerven gehen," lacht sie verschmitzt.
Gefallen haben Marita und Anna besonders die stämmigen Pferde, die unbeeindruckt vom Touristenstrom, fast könnte man sagen „mit niedersächsischer Sturheit“ Koffer-Getränke-und Müllwagen zogen.
Ein Paradox allerdings versorgte sie mit Glücksgefühlen. Zwei Häuser neben Bettinas Pension und direkt gegenüber der katholischen Kirche, lockte sie eine köstliche, stylische „Konditorei“, das „Knusperhuuske“. Cappuccino, Kuchen und Schokolade der allerköstlichsten Art waren ihnen einige Sünden wert.

Ciao Baltrum!!

Weiter geht’s nach Spiekeroog. In Norden haben sie zweieinhalb Stunden Aufenthalt. Sie wollen Mittag essen. Nach den Baltrumer Fischtagen haben sie Appetit auf Fleisch und finden ein einladendes Restaurant.“Smutje“. Es ist voll. Aber die beiden finden noch einen Tisch. Von einer Wandtafel blinkt ihnen der Mittagstisch entgegen: „Hawaii Schnitzel mit Pommes und Salatbeilage“
Das kommt ja wie gerufen! Die Kellnerin bringt  zwei riesige Portionen mit den Worten:“Das waren unsere letzten beiden Portionen vom Mittagstisch!“ Super lecker!
Auf dem Schiff treffen sie überraschender Weise viele Mütter mit Kindern an. Sie hören, wie eine junge Mutter zu einer anderen sagt:“Fahren Sie auch zur Mutter-Kind-Kur?“ Die Angesprochene antwortet in breitestem Schwäbisch: „Mir sin scho heut morge um sechs von Stuttgart losgfahre! Hier blästs scho arg!“ Beim Verteilen der Karten sagt eine Frau zu Marita: „Machen Sie nicht so viel Reklame, Sie stehen doch schon im Inselboten. Das wird rappelvoll!“ Das wär ihnen neu, noch haben Marita und Anna Baltrum im Nacken.
Beim Betreten der Insel sind sie begeistert. Anna sagt: „Das ist ja wie in Heidelberg. So romantisch!“ Auch ihre Pension ist sehr hübsch und einladend.

Voller Schwung machen die beiden einen Strandspaziergang und sehen überall in den Aushängekästen unsere Plakate. Ihre Stimmung steigt. 


Abends lugen sie mal zur Kirchentür rein und prallen zurück. Ströme von Menschen kommen heraus. Wie haben die denn da reingepasst? Sie  stellen sich einer Frau vom Kirchenvorstand vor.
Mit freundlichen Worten verabredet sie sich mit ihnen. „Morgen um halb acht. Ich mach eine kurze Einführung!“
„So so“. denkt Anna, die erst jetzt realisiert, dass sie in einer echten Kirche lesen werden. Marita rutscht kurz das Herz in ihre beige Trekkinghose. In so einer schönen evangelischen Kirche soll sie ihre katholischen Dorfgeschichten lesen. Ob das gut geht? Beide träumen wild und gefährlich in der darauf folgenden Nacht.
Am nächsten Tag lassen sie es sich gut gehen.


Gegen Abend, das war bisher bei jeder Lesung so, wird es stürmisch und regnerisch. Sie stellen mit Erstaunen fest, wie routiniert sie sich vorbereiten. Anna hat noch eine Sorge: „Wir treffen uns erst um halb acht und ich muss noch so viel aufbauen. Einen Tisch haben wir auch noch nicht.“
Aber was nützt es. Die Kirche ist schon erleuchtet und sie haben nur eine Minute Fußweg. Das ist doch auch was wert. Vor allen Dingen, wenn es regnet.
Als wir die Kirche betreten, sind die ersten drei Reihen schon besetzt. Marita kann es nicht glauben. „Sind Sie schon zur Lesung gekommen?“ „Natürlich. Nachher bekommt man keinen Platz mehr.“
Wir schlucken. Das wäre uns neu. Wir sind noch voll beschäftigt, als der Raum schon fast aus den Nähten platzt. Selbst auf der Empore wird jeder Platz genutzt. Anna ruft: „Hier vorne sind noch zwei Einzelplätze!“ Die Frau vom Kirchenvorstand schafft noch Stühle für den Mittelgang herbei, so dass  unsere vorgesehene Pause schier unmöglich wird. Jetzt ist die Alte Inselkirche wirklich rappelvoll. Später erfahren wir von zwei jungen Damen aus dem Kirchenvorstand die Zahl „Wir haben 110 Personen gezählt.“
Jau, und nun geht’s los. Die Einführung ist kurz, prägnant und gut, unsere Laune steigt.
Marita, sonst auch nicht schüchtern auf der Bühne, kriegt einen Adrenalinkick nach dem andern und entwickelt sich im Schatten der Kanzel zur unterhaltsamen „Rampensau“
Die Leute lachen herzlich, erschrecken sich über Lehrer Högemann und applaudieren nach jeder Geschichte. Das hat Marita noch nie erlebt, wie sie später gesteht  Anna fühlt sich wieder wie ein Teenager und ist glücklich darüber, dass bei den Liedern spontan mitgesungen wird. In der fünften und sechsten Reihe, womöglich handelt es sich um rheinländische Gäste, wird bei „Marina, Marina“ heftig geschunkelt. Am Schluss bei „Rote Rosen“ singen sogar Männer mit.
Der Schlussapplaus und überhaupt der ganze Abend, überwältigt uns.
Wir freuen uns über reichliche Spenden, die vom Kirchenvorstand eingesammelt werden.
Noch etwas betäubt streben wir in den irischen Pub gegenüber und kämpfen uns durch die Fanreihen.( Nur etwas übertrieben).
Trotz Guiness und Cidre können wir kaum einschlafen. Das war ein Erlebnis!!
Am Samstag genießen wir Spiekeroog  in all seiner Pracht und sonnen uns  in unserem Erfolg.
Wir werden noch mehrfach auf der Straße angesprochen und bekommen viel positives Feedback. Darauf trinken wir noch den letzten Henkel trocken von Birgit und schreiben mit Vergnügen an unserem Reisebericht.
Sonntag mittag, nach einem ausgedehnten Strandspaziergang bei sommerlichen Temperaturen, geht es wieder gen Heimat, nach Hamburg.
Dann bremst  doch noch die Deutsche Bahn  unsere Triumpfgefühle ein wenig ab.
Der Bus in Neuharlingersiel wartet nicht auf unser Gepäck, der Schienenersatzverkehr funktioniert nicht. Der Bus ist voll und wir werden trotz einhelligem Protest nicht mitgenommen. Anna ruft ihren Sohn in Hamburg an, er möge ins Internet schauen für weitere Verbindungen. Geht gerade nicht. Er schlägt ihr vor, seinen jüngeren Bruder in Kapstadt an zu rufen. "Der hat doch auch Internet." Aber wir warten dann einfach ab, wie's weiter geht und erkundigen uns vor Ort. Jetzt heißt es nicht Ostfriesentee, sondern Kaffee to go trinken.
In Bremen sollen wir uns die Verspätung bestätigen lassen wegen der Sparpreis-Zugbindung. Wir nutzen die Gelegenheit und beschweren  uns über die Wartezeiten : "Uns liegen aber keine offiziellen Störungen vor!" so der gelangweilte Mitarbeiter am Informationsschalter. "Das ist Sache der Norwestbahn, damit haben wir nichts zu tun." "Meinen Sie, wir stehen freiwillig zwei Stunden in der Pampa? " läßt sich Marita hinreißen. Wir sind erschrocken So schnell geht das : Von der Idylle zur Pampa...  
Trotz allem, lebt wohl, ihr Inseln, ihr seid so schön verschieden! Das hat uns gut gefallen. Auf Wiedersehen, vielleicht im nächsten Jahr!